Die Automatenbauern

Künstliche Intelligenz soll die Landwirtschaft profitabler und umweltfreundlicher machen. So heißt es seit Jahren. Aber an entscheidenden Stellen hakt es.

(Die WELT, Januar 2021)

„KI rettet uns hinten und vorne nicht“, sagt Thomas Herlitzius. Foto: Pixabay

Ob es einer seiner Kühe schlecht geht, erfährt Bauer Michael Polster bislang meist zu spät. Sie hat dann schon ein paar Tage zu wenig gefressen, eine Infektion konnte sich ausbreiten, sie ist schwach geworden. Erst wenn der Melkroboter signalisiert, da kommt zu wenig Milch, wird er auf das Tier aufmerksam. Oft müssen dann Antibiotika her – und das bedeutet für den Milchbauern: Milchsperre. Er darf sein Produkt dann mindestens zehn Tage lang nicht verkaufen. Die Milch fließt in den Abfluss und mit ihr jede Menge Ressourcen und Geld.

Seine Hoffnungen setzt Michael Polster auf seinem Hof in Claußnitz in Sachsen daher auf künstliche Intelligenz (KI). Algorithmen sollen früher als die Melkmaschine Muster erkennen – und Alarm schlagen. Er nutzt dazu das Programm „Cow Control“ der niederländischen Firma Nedap. Mit Cow Control, heißt es dort, helfe man den Bauern, „die besten Bauern der Welt zu sein“. Sensoren am Hals der Kuh messen, wie oft sie aufsteht, wie viele Schritte sie macht, wie lange sie steht, wie viel sie wiederkäut. Das Bewegungs- und Fressverhalten gibt Aufschluss über den Gesundheitszustand der Kuh. Ein paar Wochen lang braucht die KI, um jede Kuh und ihre individuellen Rhythmen kennenzulernen. Aber danach wird Polster automatisch informiert, wenn eine Kuh auffällig ist.

Laut dem Branchenverband Bitkom setzen hierzulande bereits 80 Prozent der Höfe auf die Digitalisierung im Stall, das sogenannte Smart Farming. Neun Prozent setzen sogar auf KI. In Polsters Betrieb bestimmt ein Sensor die Nährstoffe im Güllewagen. Satellitendaten zeigen, wo die Pflanzen mehr, wo sie weniger Dünger benötigen. Entsprechend wird die Pumpleistung automatisch reguliert. Ein Tränkautomat erkennt an der Ohrmarke jedes Kälbchens, wie viel Milch es noch trinken darf. Forscher tüfteln an Drohnen, die Pflanzenkrankheiten früher als das bloße Auge erkennen sollen, und an Indoor-Feldern, die ihre Nährstoffe vollautomatisch aus der Kläranlage ziehen.

Von den neuen Technologien versprechen sich die Landwirte mehr Effizienz, weniger Kosten, besser genutzte Ressourcen, mehr Tierwohl, weniger Umweltbelastung. Der Technik sei Dank. Seit Jahren sprechen viele von einem „Meilenstein“ in der Landwirtschaft, vergleichbar mit dem Traktor oder auch den chemischen Pestiziden, die in den 1960er-Jahren die Erträge in die Höhe schnellen ließen.

Viele glauben, nur mit KI können sie mithalten

Auch Michael Polster, Landwirt seit acht Jahren, glaubt, dass ohne Digitalisierung heutzutage nichts mehr geht. Wer seine Ernten heutzutage dem Zufall überlässt, der sei schnell nicht mehr konkurrenzfähig. Angestellte müssen anständig bezahlt werden, der Preisdruck ist enorm. Milch ist heute so billig wie Anfang der 1990er-Jahre. Und die Deutschen sind gewöhnt, wenig Geld für Lebensmittel auszugeben. Gleichzeitig steigen die Kosten für Maschinen und Ackerchemikalien Jahr für Jahr um etwa fünf Prozent. Die Bauern müssen produktiver werden, Mitarbeiter einsparen, Flächen vergrößern, Dünger und Saatgut effizienter einsetzen.

Thomas Herlitzius aber sieht das eher kritisch: „KI rettet uns hinten und vorne nicht“, sagt der Professor für Agrarsystemtechnik an der Technischen Universität Dresden. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit intelligenten Maschinen und Algorithmen, hat diese selbst für die Ernte oder die Bearbeitung von Böden mitentwickelt. Inzwischen sagt er: „Die Möglichkeiten dieser Technologien werden generell überschätzt.“ Sind die intelligenten Systeme in der Landwirtschaft also nur heiße Luft?

KI werde gerade in der Landwirtschaft „total gehypt“, sagt Herlitzius. Klar, einzelne Prozesse könnten automatisiert und somit billiger werden. Teils könnte KI auch helfen, Chemikalien einzusparen, beim Pflanzenschutz sei das „sehr vielversprechend“. Herbizide etwa werden bislang noch über das gesamte Feld verteilt. Würde man Unkräuter per Bilderkennung genau lokalisieren, könne man lokal spritzen. Um 90 Prozent ließe sich der Herbizideinsatz so reduzieren. Am Kernproblem, der Übernutzung der Böden und dadurch schlechter werdenden Ernten, ändere das aber nichts, sagt Herlitzius.

Die großen Maschinen, die dem Boden schaden, werden weiter eingesetzt. Die Felder weiter in kurzer Fruchtfolge in Monokultur betrieben, Chemikalien weiter eingesetzt. Nachhaltig ist das nicht. Allein ökologischere Methoden, so der Agrartechniker, würden hier wirklich die Wende bringen, Bis es so weit ist, muss jedoch noch einiges geschehen.

Vor allem braucht es Daten. Bislang sind die Algorithmen zu wenig trainiert. „Die Landwirtschaft arbeitet ja mit der Natur“, sagt Herlitzius. Da sind große Schwankungen an der Tagesordnung, Wetter und Klima sind ebenfalls schwer zu prognostizieren. In keinem anderen Wirtschaftsbereich, in dem KI schon zum Einsatz kommt, träfen so viele unsichere Variablen aufeinander, sagt der Forscher. Je mehr Unsicherheiten es jedoch gibt, desto mehr Daten brauche man für sichere Prognosen. Viele Prozesse ließen sich bislang kaum in Modelle fassen. Fünf bis 15 Jahre, schätzt er, sei man noch von einer ausreichenden Datengrundlage entfernt.

Dass es so schleppend vorangeht, liegt vor allem am Umgang mit den Daten. Sie fallen bei der Nutzung der Systeme in Feld und Stall an, bleiben aber bei den Anbietern, sei es John Deere, Bayer oder BASF. Dadurch verbesserten sich die Algorithmen nur langsam. Noch dazu sind die Systeme untereinander nicht kompatibel. „Wir wollen Industrie 4.0 machen und schaffen es noch nicht mal, dass sich die einzelnen Maschinen miteinander unterhalten“, sagt er. Die Datensammlung bei den Anbietern wird aber auch aus einem anderen Grund kritisiert: Sie könnten so den Produktbedarf des einzelnen Landwirts vorhersehen und ihm einen höheren Preis berechnen.

Schon bei leicht abweichenden Sorten versagt die KI

Kein Datenaustausch, keine Kompatibilität: KI auf dem Acker kommt nur zäh voran. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deshalb im Januar die Plattform „Agri-Gaia“ vorgestellt, auf der die landwirtschaftlichen Daten unabhängig von den großen Konzernen zusammengebracht werden sollen. In Zukunft sollen hier Daten aller Maschinen und Betriebe zusammenlaufen können – und so den Trainingszustand der Algorithmen verbessern.

Bei aller Technikbegeisterung sehen Forscher und Landwirte aber noch ein anderes Problem: Es gehe ja, sagt Landwirt Michael Polster, um „maximal viel Milch pro Tier“ und „maximale Erträge in dem Moment“, im Stall und auf dem Feld. Auf Langfristigkeit und die Belange der Umwelt sei da allerdings nichts ausgelegt. Schon wenn er mal zu leicht abweichenden Sorten wie Gras oder Roggen greifen will, versagten die Systeme. Allein auf Weizen und Mais seien die System bislang ausgelegt, die wachsen auf der ganzen Welt.

Und Forscher Herlitzius glaubt, dass KI vorrangig etwas ist, das die Industrie voranbringen will. Der notwendige Wandel hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft werde nicht berücksichtigt. „Da wird auch Nachfrage erzeugt, die eigentlich gar nicht immer da ist“, sagt er. Man wisse, was sich gut verkaufen lässt. Allein die deutschen Landmaschinenhersteller haben jährlich einen Umsatz von fast zehn Milliarden Euro. Ein beträchtlicher Markt, der sich in Zukunft dahin entwickeln wird, dass Anbieter das Gesamtpaket „Gesundes Feld“ verkaufen. Sie liefern dann nicht nur Dünger oder Pestizide, sondern die Rundumversorgung des Ackers, von der Saat bis zur Ernte. Die ersten Projekte laufen bereits.