Die Neue auf dem Acker
Ist die Hirse das Nahrungsmittel der Zukunft? Das uralte Getreide trotzt Dürre und Kälte. In Zeiten des Klimawandels könnte es eine Renaissance feiern.
(u.a. Berliner Morgenpost, Oktober 2019)
Als der Regen immer wieder ausblieb und große Mengen seines Weizens auf den Feldern vertrockneten, entschied sich Peter Schubert für ein Getreide, das für ihn gedanklich gar nicht hierhergehörte. Eines, das für ihn nach Indien oder Afrika klingt, aber nicht nach Mittelfranken: die Hirse. Vor fünf Jahren begann der Ökolandwirt auf einem Teil seiner Flächen bei Nürnberg das Süßgras mit den winzigen Körnern anzubauen. Als „Experiment“, wie er es rückblickend nennt. Heute ist er froh, den Versuch gestartet zu haben. Die letzten beiden Jahre gab es hier im Frühjahr fast keinen Regen. Da sei es dem Weizen besonders an den Kragen gegangen, sagt Schubert. Die Hirse hingegen lieferte. „Stabil im Ertrag und leicht zu handhaben“, beschreibt er seine neue Frucht auf dem Acker.
Schubert ist einer der Pioniere in Deutschland, die auf Hirse setzen. Zwar ist die Anbaufläche hierzulande noch immer verschwindend gering – Experten schätzen sie auf bis zu 2.000 Hektar, etwas mehr als ein Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen. Dennoch prophezeien sie dem ältesten Getreide der Welt eine Renaissance.
Denn der Druck, Alternativen für die Dauerbrenner auf dem Feld zu finden, steigt. Insbesondere zum Weizen, dem mit Abstand häufigsten Getreide in Deutschland. In diesem Jahr wurden laut Deutschem Bauernverband im Vergleich zu 2017 fünf Prozent weniger, im vergangenen Jahr sogar 19 Prozent weniger geerntet – mit starken Unterschieden zwischen den Regionen. Grund sei vor allem die anhaltende Trockenheit.
Auch weltweit warnt eine Studie vor wachsenden Einbußen beim Weizen. Zudem lässt die Nachfrage nach Soja die Regenwälder in Amazonien brennen und der Mais hat immer wieder mit dem Maiszünsler zu kämpfen: Der Schmetterling zählt zu seinen bedeutendsten Schädlingen. Die Hirse hingegen trotzt den Bedingungen, die sich laut Klimaprognosen in Deutschland bis Ende des Jahrhunderts finden werden. Darunter bis zu 4,5 Grad höhere Temperaturen und um bis zu 30 Prozent trockenere Sommer.
Robust und sparsam im Verbrauch
„Die Hirse kommt selbst bei kargen Bedingungen gut klar, wächst auf sandigen Böden, gilt als robust gegenüber Schädlingen – und braucht vor allem deutlich weniger Wasser“, erklärt Frank A. Ewert, wissenschaftlicher Direktor des Leibnitz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg. Um ein Kilo trockene Hirse zu gewinnen, braucht es 250 Liter Wasser. Beim Mais sind es 50 Liter mehr, beim Weizen sogar die doppelte Menge.
Dennoch hatte es die Pflanze bislang schwer, sich gegenüber den anderen Sorten auf dem Feld zu behaupten. Ein Grund: Sie bringt weniger Ertrag, je nach Bedingungen nur die Hälfte vom Weizen und bis zu 25 Prozent weniger als der Mais. Die Welternährungsorganisation hat jedoch ausgerechnet, dass die Unterschiede umso geringer sind, je trockener die Jahre sind. Ein weiteres bisheriges Manko der Hirse: Ihr fehlt das Klebeeiweiß Gluten. Brot und Kuchen lassen sich also nicht so einfach mit ihr backen.
„Für die Bauern gab es lange keinen Grund, zu Hirse zu greifen“, sagt Ewert. Wassermangel sei bisher für heimische Felder kein so großes Problem gewesen. „Das ändert sich aber gerade. Die Hirse wird also zunehmend attraktiv, weil sie Wasser besonders effizient nutzen kann.“ Soll heißen: In Zukunft sollte man besser auf ertragsärmere Sorten setzen, als die Ernte ganz oder in großen Teilen zu verlieren. Zudem, so der Professor für Pflanzenbau, ließe sich durch Züchtung bei der Hirse noch einiges rausholen.
60 Kilometer von Ewerts Büro entfernt haben Forscher der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und vom Verband Naturland, der Ökobauern berät, ein Testfeld für Hirse angelegt. Nicht weit davon entfernt befindet sich eine weitere Versuchsfläche auf anderem Boden, eine dritte im Süden in Unterfranken. An diesen Stellen wollen sie herausfinden, welche der hier getesteten 40 verschiedenen Varianten besonders widerstandsfähig gegenüber Trockenheit und Kälte ist, welche die größten Erträge und welche die gelbesten Körner liefert – um diese Eigenschaften später miteinander kreuzen zu können. Zehn Jahre dauert es durchschnittlich, bis man eine neue Sorte entwickelt hat.
Eine der bisherigen Erkenntnisse: Die frühreifen Sorten werfen genau so viel ab wie der spätreifen, man kann also schon im Spätsommer ernten, statt erst im Herbst. „Dabei ist Hirse nicht gleich Hirse“, sagt Werner Vogt-Kaute vom Naturland-Verband. In ihren Versuchen konzentrierten sie sich auf die Rispenhirse. Die eignet sich wegen ihres hohen Gehalts an Methionin, einer wichtigen Aminosäure, besonders gut als Eiweißzulage in Tierfutter. Sie könnte damit Soja zum Teil ersetzen.
Eher Trog statt Teller
Seine Prognose: Generell wird die Hirse vorrangig in den Trog, nicht auf den Teller wandern. Ein bisschen noch in die Biogasanlage, als Alternative zum Mais. „Im Supermarkt wird sie einfach noch zu wenig nachgefragt.“ Auch wenn sich das noch ändern könne, sie sei besonders gesund.
Die Hirse-Körner, die bisher in den Regalen stehen, stammen vorrangig aus China und den USA. Zur Massenware, so ZALF-Experte Ewert, werde die Hirse dennoch hierzulande in absehbarer Zeit nicht. Dafür sei der Markt noch nicht reif, die Nahrungsmittelindustrie und Futtermittelhersteller noch nicht darauf eingestellt, vielerorts die Notwendigkeit noch nicht groß genug.
Auch Landwirt Schubert baut die Hirse bislang vor allem als Futterpflanze für seine Hühner an. Trotz aller Begeisterung für die neue Frucht sei für ihn eines erschreckend: den Klimawandel live mitzuerleben. „Wenn ich es nicht selbst am eigenen Leib erfahren hätte, hätte ich nicht geglaubt, dass es so schnell geht“, sagt Schubert. Dass das, was lange funktioniert habe, plötzlich versage.