Lächeln, wenn der Kunde schreit

Callcenter-Mitarbeiter müssen einiges aushalten – besonders in der Zeit um Weihnachten. Was macht die Wut der Kunden mit den Angestellten? Über Emotionsarbeit und ihre Folgen.

(u. a. Hamburger Abendblatt, Dezember 2018)

„Einer meinte, dass es zu meinem Job dazugehöre, sich beschimpfen zu lassen.“ Foto: Xtra lex van lieshout

Nach besonders demütigenden Telefonaten sind ihr früher oft die Tränen gekommen. Wenn ein Kunde sie mal wieder persönlich angegriffen hatte, wollte sie sich am liebsten verkriechen, musste aber den nächsten Anrufer annehmen.

Renate Wolff arbeitet im Callcenter – so wie rund 540.000 andere in Deutschland, die im Auftrag von Versicherungen, Warenhäusern oder Reiseportalen Kunden betreuen. Gerade in der Weihnachtszeit liefen bei ihr die Drähte heiß. Der Ton werde immer rauer, mehrfach täglich werde sie beleidigt: „Idiotischer Drecksladen“, „Dumme Kuh“ – zwei der harmloseren Ausfälle.

„Viele glauben, mal richtig meckern zu können“, sagt Renate Wolff. Die 59-Jährige arbeitet im Telefonservice für DHL Express, einem Tochterunternehmen der Deutschen Post. Bei ihr rufen Menschen an, die wissen wollen, wo ihr Paket bleibt.

„Einer meinte, dass es zu meinem Job dazugehöre, sich beschimpfen zu lassen.“ Dann wolle sie manchmal einfach zurückbrüllen. Oder auflegen. „Stattdessen muss man immer freundlich sein.“ Heute sei sie zwar abgehärteter, trotzdem gehe das unglaublich an die Substanz.

Dass die Arbeit im Kundenservice – besonders im Callcenter – auf die Gesundheit schlagen kann, belegen auch offizielle Zahlen: Die Arbeit mache Callcenter-Agenten viel öfter krank als Mitarbeiter anderer Berufe, berichtet der Fehlzeiten-Report des AOK-Bundesverbands. Keine andere Arbeit mache die Menschen zudem so oft seelisch krank wie die an den Service-Hotlines, berichtet der Depressionsatlas der Techniker Krankenkasse.

„Jeder kennt das: Wenn wir beleidigt werden, fühlen wir uns persönlich angegriffen. Wir werden wütend, wollen etwas erwidern“, sagt Sebastian Beitz, Arbeitspsychologe an der Universität Wuppertal. Ein Callcenter-Mitarbeiter müsse seine Wut hingegen runterschlucken. Mehr noch: Er müsse die Emotionen des Kunden positiv beeinflussen, sodass der sich zufrieden fühle. „Diese psychische Kontrolle ist ex­trem anstrengend. Das kann man auf Dauer nicht durchhalten.“

Die Anstrengung, im Job Emotionen zu zeigen, die man nicht fühlt, hat einen Namen: Emotionsarbeit. Sie beschreibt, dass in der Kluft zwischen der gefühlten und vorgeschriebenen Stimmung eine Belastung steckt. Eine, die man nicht sieht, die aber besonders zehrend sei, so Beitz. Studien hätten gezeigt, dass sie kurzfristig zu Frustration, langfristig oft zum Burn-out oder zu körperlichen Beschwerden wie Herzrhythmusstörungen führt.

Der psychische Stress, Kunden entgegen den eigenen Emotionen stets ein gutes Gefühl vermitteln zu müssen, existiert in beinahe allen Dienstleistungen. Im Callcenter sei er besonders stark, so Beitz. Die Kunden verhielten sich oft harscher als in anderen Branchen. „Wegen der Anonymität.“

Dadurch sinke ihre Hemmschwelle zu pöbeln. Nur selten telefoniere ein Kunde ein zweites Mal mit dem gleichen Mitarbeiter. Auf gegenseitiges Vertrauen und eine längerfristige Geschäftsbeziehung wie beim Friseur oder in der Autowerkstatt sei er also nicht angewiesen. Zudem habe er weder den Namen noch das Gesicht des Agenten vor Augen.

„Viele vergessen, dass am anderen Ende der Leitung auch ein Mensch sitzt“, weiß Renate Wolff aus eigener Erfahrung. Bis vor fünf Jahren arbeitete sie in einer Postfiliale in Hamburg. Als die geschlossen wurde, versetzte man sie in den Telefonservice. Eine psychologische Schulung habe es nicht gegeben. „Früher standen mir die Kunden als Person gegenüber. Die hätten mich ins Gesicht beleidigen müssen.“ Und die hätten gewusst, dass sie beim nächsten Paket wiederkommen müssten. Auch in der Filiale habe sie schwierige Kunden erlebt. Neu sei das Ausmaß.

Dass der rauer werdende Ton nicht nur eine persönliche Wahrnehmung ist, zeigt eine Befragung der Hochschule Darmstadt unter mehr als 200 Unternehmen: 46 Prozent berichten, die Aggressivität der Kunden habe zugenommen, insbesondere am Telefon.

Der Ton wird rauer – weil sich der Kunde für den König hält
Psychologe Sebastian Beitz sieht die Ursache dafür vor allem in einem: dem Credo, der Kunde sei König. Seitdem sich Ende der 1990er-Jahre die marktwirtschaftliche Konkurrenz verschärft habe, setzten die Unternehmen vor allem auf einen besseren Service. Das merkten auch die Kunden. „Der Mitarbeiter ist für sie gedanklich zum Diener geworden.“

Eine Bombe entschärfen nennt es Davide Moreau*, wenn er über aggressive Anrufer spricht. Auch er hat bis vor Kurzem im Callcenter gearbeitet und Beschwerden für einen Technikkonzern angenommen. Verstärkt worden sei der psychische Stress durch die generellen Arbeitsbedingungen.

„Besonders schlimm war die ständige Überwachung.“ Jeder Verkauf sei für alle sichtbar ausgewertet worden, um den Druck untereinander zu erhöhen. Selbst wenn er auf die Toilette wollte, musste er sich abmelden. Reihenweise seien die Kollegen ausgefallen.

Ulf Krummreich von der Berufsgenossenschaft VBG warnt jedoch, pauschal der Arbeit im Callcenter die Schuld für die hohe Krankheitsrate zu geben. „Die Branche ist auch ein Auffangbecken für viele, die in anderen Bereichen nicht Fuß fassen konnten.“ Die Vorbelastung könne aber zusammen mit den harten Arbeitsbedingungen eine Depression oder andere Spätfolgen hervorrufen.

Renate Wolff könne heute besser mit schwierigen Kunden umgehen. Sie habe sich vorgenommen, Beleidigungen nicht mehr an sich heranzulassen. Entscheidend geholfen habe ihr aber vor allem eines: Sie geht jetzt halbtags arbeiten.

Das sei jedoch nur möglich, weil sie noch das alte Gehalt der Post erhalte. Ihre jüngeren Kollegen könnten sich das nicht leisten. Die bekämen häufig nur den Mindestlohn.

(*Name geändert)