Plötzlich Biobauer

Stromausfälle, kaum Treibstoff, kein Dünger: Aus der Not heraus erfanden Kubas Bauern ökologische Anbaumethoden. Eine Riesenchance, die wenige von ihnen erkennen.

Auf Kuba sind modere Maschinen und Arbeitsgeräte für die Landbewirtschaftung selten. Landwirte sind meist auf ihr Innovationstalent angewiesen. Foto: Friedrich Leitgeb

Stolz hält Fernando Donis einen frischen Kohlkopf in der Hand, der so riesig ist, dass er ihn mit seinen Armen kaum umfassen kann. Tonnenweise verkauft er davon jedes Jahr an den Staat. Er ist stolz auf die Erträge seiner Finca Cayo Piedra. Kürbisse, Maniok, Bananen, Cashew – die Ernte ist dieses Jahr mehr als üppig. Auch Pferde, Hühner und Hasen hält der kubanische Bauer – und das ganz ohne die Techniken der modernen Landwirtschaft.

„Am Anfang war das nicht ganz freiwillig“, muss Donis zugeben. „Die Spezialperiode zwang uns dazu.“ Eine Zeit Anfang der neunziger Jahre, in der Kuba eine seiner schwersten Wirtschaftskrisen erlebte. Der wichtigste Handelspartner, die Sowjetunion, war weggebrochen. Mit dem Zusammenbruch anderer sozialistischer Bruderstaaten fielen Absatzmärkte weg. Das traf neben Industrie und Verkehr vor allem die Landwirtschaft, die sich bis dahin fast nur auf Zuckerrohr- und Tabakanbau konzentriert hatte.

Auch Treibstoff, synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel auf Erdölbasis kamen wegen des US-Embargos nicht mehr ins Land. Die Insel produzierte die geringste Menge an Nahrungsmitteln pro Kopf in ganz Lateinamerika und stand kurz vor einer Hungersnot. Denn bis zum Zerfall der Sowjetunion wurde der größte Teil der Lebensmittel importiert. „Langsam begannen wir, fruchtbaren Boden zurückzugewinnen, unser eigenes Saatgut herzustellen und natürliche Wege zu finden, um Pflanzen vor Schädlingen zu schützen“, sagt Fernando Donis. Weg also von der „traditionellen“ Landwirtschaft, wie hier die Praktiken in Sowjetzeiten genannt werden.

Im Nachhinein eine glückliche Fügung. „Hätten wir damals so weitergemacht, hätten wir bald Böden gehabt, auf denen nichts mehr gewachsen wäre“, meint der Mitte 40-jährige. Heute wird beinahe jeder Acker Kubas aus westlicher Sicht, wo die industrielle Landwirtschaft Standard ist, nach ökologisch nachhaltigen Kriterien bearbeitet.

Mit beinahe sagenhaftem Erfolg. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO stieg der Pro-Kopf-Ertrag auf Kuba in den folgenden Jahren (1996 bis 2007) um 4,2 Prozent jährlich und übertraf damit sogar die Ernte zu Sowjetzeiten. 2013 bescheinigte die FAO der Insel als einzigem Land der Region, den Hunger besiegt zu haben.

Wie war das möglich? „Not macht bekanntlich erfinderisch“, sagt Friedrich Leitgeb, Agrarwissenschaftler an der Universität für Bodenkultur Wien, der bei der Erforschung der kubanischen Landwirtschaft auf viele einfache wie geniale Innovationen gestoßen ist.

Pilze und Regenwürmer statt Pestizide und Kunstdünger

Mikroorganismen als Schädlingsbekämpfer beispielsweise. Regelmäßig marschiert Bauer Donis von seinem Hof aus viele Kilometer in den angrenzenden Wald, kämpft sich durch Dornen und Dickicht, und sucht nach einem bestimmten Pilz, der unter der obersten Laubschicht in halb verrottetem Waldboden wächst. Gemischt mit Brot, Milch, Joghurt, Zuckerrohrmelasse und Reisspelzen wird daraus ein Nährmedium – Donis Starterkultur an Mikroorganismen. Nach 21 Tagen anaerober Gärung bringt er die Mixtur auf die Felder aus und verhindert so, dass sich Viren oder andere Pilze wie Mehltau auf seinen Äckern breitmachen können.

Auch Regenwürmer leisten ihm wertvolle Dienste. In seinem Wurmkomposter lässt er sie Dünger für sich herstellen. Dazu setzt er speziell gezüchtete Kompostwürmer, die Red Wiggler, in Kästen voll Dung und Pflanzenabfall, überzieht das Ganze mit einer Plastikfolie und hält es feucht. Das Resultat nach wenigen Wochen: dunkelbraune stickstoffreiche Erde – ein Booster für sein Gemüse. Landesweit finden sich unzählige staatlich geförderte Wurmfarmen, tonnenweise gefüllt mit dem Wurm-Abfall-Gemisch.

Auf der Finca von Fernando Donis steht direkt neben dem Wurmkompost eine selbst gebaute Biogasanlage. Weil auf Kuba während der schweren Wirtschaftskrise ständig für Stunden der Strom ausfiel, suchte er nach Alternativen: Er kam auf Methangas als Energielieferant. Um es herzustellen, verdünnt er Gülle mit Wasser, füllt das 1:4-Gemisch in Betonbehälter und deckt sie mit Folie ab. Darin beginnen die Bakterien ihr Zersetzungswerk. „Nach drei bis vier Tagen entsteht Methan, ein hochwertiger Brennstoff, den wir über die Schläuche hier abzapfen“, schwärmt er. Der Dung von zwei, drei Kühen pro Tag reicht, um fünf Stunden zu kochen oder das Haus zu beleuchten. Und übrig bleibt: bester biologischer Dünger. So schließt sich der Kreislauf.

Wissenstransfer ist für deutsche Landwirte ein Fremdwort

Fernando Donis ist einer von vielen Kubanern, die der Mangel zu vorbildlichen Biobauern hat werden lassen. Er gehört, wie fast alle, der staatlichen Kleinbauerninitiative, der Asociación Nacional de Agricultores Pequeños, an. Einmal pro Monat trifft er sich mit anderen Landwirten der Region: Innovationen, Entdeckungen und Ideen werden so ausgetauscht. Inzwischen haben auf Kuba viele Akademiker zum Bauern umgesattelt, bestätigt Agraringenieur Leitgeb. Denn in der Landwirtschaft zahlen sich Ingenieurs- und Erfindergeist gerade aus.

Auch der Staat schafft inzwischen Anreize für Ökobauern, statt auf Hightech und Patente zu setzen: ein neues Motorrad, eine Urlaubsreise und vor allem soziale Anerkennung. Das Forum für Wissenschaft und Technik zeichnet die innovativsten Tüftler des Landes regelmäßig aus.

Generell tut die Regierung viel dafür, die Erträge systematisch zu steigern – mit den natürlich verfügbaren Mitteln. Nützlinge wie Bakterien der Art Bacillus thuringiensis oder Pilze wie Trichoderma werden gezielt in fast 200 Zuchtlaboren herangezogen – Spezies, die im ökologischen Landbau als biologische Waffe gegen Schädlinge bekannt sind, in vielen Ländern aber noch ein Nischendasein führen.

Zudem verabschiedete der Staat 2008 ein Gesetz, das jedem kostenlos Land verspricht, der es landwirtschaftlich nutzen will. Insbesondere in den Städten boomt seitdem der Obst- und Gemüseanbau. Was bei uns als Urban Gardening modern ist, begann auf Kuba Anfang der neunziger Jahre aus der Not heraus – und zunächst illegal, auf Brachflächen, alten Müllhalden, zwischen Wohnblocks und Highways. Einige Jahre später fing der Staat an, städtische Landwirtschaftsbetriebe, die Organoponicos, zu fördern. Heute gibt es auf Kuba 383.000 solcher Stadtfarmen. Auf mehr als 50.000 Hektar urbaner Fläche wird Obst und Gemüse angebaut, Metropolen wie Havanna und Villa Clara beziehen mehr als 70 Prozent ihres Obstes und Gemüses daraus. Weil Treibstoff und Kühlmöglichkeiten fehlten, waren die kurzen Versorgungswege in Krisenzeiten ein Vorteil. Heute ist man froh darüber, wie umweltfreundlich dieses Konzept ist.

Alles nur Propaganda?

Allerdings halten einige Fachleute die gefeierten Erfolge der kubanischen Landwirtschaft für eine Lüge. Dennis Avery, Direktor des Center for Global Food Issues am Hudson Institut in Churchville, ist einer von ihnen. Seiner Meinung nach sind all die Zahlen Teil der sozialistischen Propaganda und noch immer müssten 84 Prozent der Lebensmittel nach Kuba importiert werden. Ob das stimmt, lässt sich schwer überprüfen. Dass Avery nicht nur die schädliche Wirkung des in den siebziger Jahren in Europa verbotenen DDT und den menschengemachten Klimawandel bestreitet, macht ihn jedenfalls wenig glaubwürdig. Zudem wird sein Institut vornehmlich von Agrargrößen wie Monsanto und ConAgra finanziert.

Dass Zahlen beschönigt werden, glaubt aber auch Leitgeb. „Es ist schwierig, an verlässliche Zahlen über die kubanische Landwirtschaft zu gelangen“, sagt der Agrarforscher. „Kuba kann sich trotz seiner erfolgreichen Landwirtschaft nicht selbst versorgen und importiert noch immer einen Teil seiner Lebensmittel. Jedoch deutlich weniger als zu Sowjetzeiten.“ Grund dafür seien vor allem die vielen ungenutzten Brachflächen und der hohe Anteil an Zuckerrohr, der auf rund der Hälfte der gesamten Ackerfläche des Landes angebaut wird, vornehmlich zur Rum-Produktion.

Als Vorbild tauge Kuba trotzdem – und das nicht nur für die sogenannten Dritte Welt. „Kuba stand 1990 vor seinem Peak Oil und hat die Kehrtwende geschafft“, sagt Leitgeb. Auch uns stehe dieser Wendepunkt bald bevor, ab dem das Öl knapp wird, weil sich keine neuen Ressourcen mehr erschließen lassen. „Wir täten gut daran, uns schon jetzt umzuorientieren.“

Viele der kubanischen Innovationen würden sich auch auf hiesigen Feldern in ähnlicher Form anwenden lassen. „Was uns hier jedoch vor allem fehlt, ist der Erfindergeist und Wissensaustausch zwischen den Landwirten“, sagt Leitgeb. „Die Bauern hier sind so innovationsträge, weil Veränderungen von außen initiiert werden, es oft einfacher ist, sich das notwendige Mittel zu kaufen und es durch die Subventionen keine Anreize gibt, selbst Initiativen zu ergreifen.“

Und wie geht es auf Kuba weiter? „Bisher konnte ein engagierter Landwirt auf Kuba genauso viel wie ein Arzt oder Lehrer verdienen“, sagt der deutsche Wissenschaftler. Mit den billigen Lebensmitteln, die nun bald aus dem Ausland auf den Markt schwemmen, werde sich das wohl ändern.

Da die meisten Landwirte aus purem Pragmatismus zu Biobauern wurden, werden viele sich von internationalen Konzernen für Dünger und Pflanzenschutzmittel überzeugen lassen, auf „modern“ umzustellen. Fast niemand auf Kuba baut aus Überzeugung ökologisch an.

Mit der Öffnung Kubas für ausländische Investoren könnte also ein Schatz verloren gehen, deren Wert die Kubaner noch gar nicht erkannt haben.